Ich verlasse die Wasser-Wald-Besetzung auf einem kleinen Trampelpfad, wo die Natur noch nicht ganz aufgegeben hat unter den Stiefeln der Menschen. Ich muss mir meinen Weg suchen, ganz eindeutig ist der Pfad hier nicht. Totholz rottet auf dem Boden vor sich hin, ich rieche an den Bakterien (oder Schimmelpilzen?) – gar nicht so schlimm. Farne verdecken den Pfad, den Boden, einige Pilze die sich unter ihrem Schatten hervorrecken.
Ist Schatten eigentlich gut für Pilze? Oder brauchen sie Sonne? Ich erinnere mich an eine riesige Höhle, die ich in Skyrim erkundet habe. Da war alles voller Pilze. Vermutlich ist Schatten gut für sie. Ich bin aus der Generation, die die meisten ihrer Naturerfahrungen in Skyrim gemacht hat. In Skyrim wurden die Namen der Pflanzen angezeigt, hier bin ich aufgeschmissen. Eben habe ich das hier eine Fichten-Monokultur genannt, wohl ein Irrtum, kurz darauf sprach jemand von Kiefern.
Aber auch wenn ich mich hier nicht zuhause fühle, ich bin nicht als einziges fremd hier. Vor mir fliegt eine Wespe über den Pfad, die wohl den Herbstanfang noch nicht wahrhaben will. Neben mir liegt ein Fetzen Polizei-Absperrband. Ich höre Flugzeuglärm über mir, und Hammerschläge von hinten. Und dann ragt vor mir der Bauzaun aus dem Boden, der die gerodete Schneise vor uns beschützt.
Auf meiner Seite des Zauns liegt ein umgesägter Baum, der Baumstumpf ist auf der anderen Seite. Gehören die beiden überhaupt zusammen? Gehörten? Ich bin mir nicht sicher. Auf der Schneise ragen Bäumchen schief im 45°-Winkel aus dem Boden, abgesägte Äste und Zweige liegen auf plattgefahrenen Gräsern.
Ich habe mich noch nie irgendwo zuhause gefühlt. Die Ordnung zu zerschlagen, war immer mein Impuls. All die Zäune, gegen die ich schon gerannt bin in meinem Leben. Sie stehen jetzt alle vor mir, gleichzeitig.
Viele Pflanzen färben sich schon gelb, auf beiden Seiten des Zauns. Ich pinkle gegen einen Baum, wie als würde ich hierher gehören. Ich drehe um und laufe zurück, wo wir Ordnung in das Chaos bringen, um sie zu schützen, die Natur. Wir grenzen Wege mit Stöcken ab, damit nicht der ganze Waldboden plattgetreten wird. Wir sammeln den Müll um ihn der Zivilisation zurückzugeben, es steht Desinfektionsmittel herum, um uns vor der Natur zu schützen.
Wälder schützen ist ein konservativer Impuls. Und ohne all die Ordnung, die wir mitbringen, würden wir es hier nicht aushalten. All die Parolen und Anarchie-Zeichen können mich nicht täuschen; die Forderungen und Regeln stehen direkt daneben, in derselben Handschrift: “use right pronouns”, “desinfect before and after toilet use”, “vegan only kitchen” – und “Bitte nicht auf Schilder verweisen”, witzig. Forderungen hinter denen ich stehe, auch wenn sie sich wie Regeln anfühlen.
Bisher, wenn ich mich irgendwo eingeengt gefühlt habe, war da immer ein Zaun über den ich klettern und wegrennen konnte. Nun bringe ich die Ordnung mit, organisiere mich im Plenum, erlaube der Gemeinschaft mich zu verbiegen, mich zu zivilisieren.
Der Zaun bleibt nicht lange stehen. Eines Nachts schrauben Unbekannte ihn auseinander, und betonieren ihn neu zusammen, sodass keine Fahrzeuge mehr durch die Schneise kommen, Menschen aber schon. Die eine Ordnung ersetzt die andere, bekämpft sie im Kampf um Selbst- und Fremdbestimmung.
Bald darauf muss ich wieder fahren, zurück in die Zivilisation. Als ich mein Zelt abbaue, ist das Moos darunter viel blasser und trockener als drumherum, und einige Mücken habe ich erschlagen, während ich Teil des Waldes war. Nun, falls Elon Musk es schafft, sein riesiges Tesla-Werk hierhin zu erweitern, wird es ohnehin vernichtet werden.
So oder so; es wird nie mehr so sein, wie bevor wir hier ankamen. Weder der Wald – noch wir.