Zu den verschiedenen glücklichen Umständen in meinem Leben zählt, dass es auch ohne Handy funktioniert. Vor knapp anderthalb Jahren ist mein letztes Handy kaputt gegangen. Seitdem habe ich mir einfach kein neues mehr besorgt. Vor allem, weil ich wissen wollte, ob es geht.
Seitdem fällt mir jeden Tag auf, wie schwer es ist, ohne Handy klarzukommen; wenn man nicht gerade einen super chilligen IT-Job in der Open-Source-Industrie hat, mit lauter Freaks, die nachvollziehen können dass man auch ein Freak ist und nicht 24/7 erreichbar sein will.
Arzt-Termine buchen, sich an Treffpunkten nicht verpassen, Zug fahren – alles gar nicht so einfach ohne Handy. Aber immerhin habe ich plötzlich richtig viel mit alten Menschen gemeinsam. Ich lese Fahrplan-Aushänge, frage Leute nach der Uhrzeit, und aus Sicht von Behörden und anderen Institutionen bin ich wohl so digitalisierungsunwillig wie viele Rentner*innen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Was natürlich aber ein großer Unterschied ist – ich habe quasi immer meinen Laptop dabei, und kann im Zweifel fürs Telefonieren den Mumble-Server vom 0x90.space nutzen, oder über andere digitale Skills die Nachteile ausgleichen. Im Großen und Ganzen komme ich gut klar.
Andere Meinungen zu Handys
Beim 37c3 habe ich mit einer engen Freundin eine Austauschrunde gemacht, wo es darum ging wie abhängig wir von Smartphones, aber auch Handys allgemein sind, und was für Alternativen es dazu geben könnte.
In dem Workshop haben wir uns in verschiedene Kleingruppen von je ca. 10 Menschen gesetzt, und in einem Pad mitgeschrieben. Das könnt ihr ausführlich hier nachlesen: https://cryptpad.fr/pad/#/2/pad/view/bGdmJONyHhnY3M8h7E8AFpFZBWnYnq4AoL8Gs4ao-0g/
Zum Beispiel kritisierten Leute an Smartphones, dass sie User*innen entmündigen, schlecht reparierbar sind, soziale Interaktion im Alltag verhindern, dass SIM-Karten Tracking ermöglichen, und dass man ständig ein neues Gerät kaufen muss, weil alte keine Updates mehr kriegen und einem alternative Betriebssysteme wie LineageOS schwerer gemacht werden.
Bei vielen dieser Probleme gibt es Lösungen. Wenn man etwa nicht will dass der MP3-Player, Taschenlampe, und Armbanduhr ständig Internetzugang haben, kann man sich diese auch als Einzelgeräte besorgen. Oder man ändert seine Gewohnheiten, etwa indem man sich bei Treffpunkten abspricht, wie lange man im Zweifel aufeinander wartet, und dass man sich Karten einprägt, ausdruckt, oder auf dem Laptop speichert.
Aber diese individuellen Lösungen haben Grenzen; man will ja für all die einzelnen Geräte nicht plötzlich einen Rucksack brauchen. Und vor allem bleibt es immer ein Kampf gegen Windmühlen, bei dem man sich auch zunehmend sozial ausgrenzt, statt eine gesellschaftliche Veränderung zu bewirken.
Was es also eher braucht: kollektive Umgangsformen, um Menschen einzubinden, die aus verschiedensten Gründen kein Handy oder Smartphone besitzen (können). Muss die Gruppe auf WhatsApp sein? Warum gibt es eigentlich immer noch kein flächendeckendes Freifunk-WLAN? Inwiefern erwartet man voneinander, ständig erreichbar zu sein? Allgemein wäre eine entschleunigte Gesellschaft auch viel weniger von Smartphones abhängig.
Jenseits von “Handy oder Nicht”
Anders als für mich war das Thema für die meisten in dem Workshop nicht die binäre Frage, ob man sein Handy behalten oder abschaffen sollte, sondern es ging viel darum, wie man Handys auch anders programmieren oder nutzen könnte.
Denn für viele Menschen sind Smartphones alternativlos. Sie sind etwa beruflich darauf angewiesen, oder brauchen sie im täglichen Kampf gegen die Einsamkeit. Auch als Übersetzungsmaschine sind sie fast unersetzlich für Menschen die kein deutsch sprechen.
Doch dass es keinen Zwang geben sollte, Smartphones zu benutzen, waren sich alle einig; ein Grundrecht auf Nicht-Digitalität war im Gespräch. Ein solches Grundrecht würde auch Menschen mit Smartphone ermächtigen. Außerdem darf der komplett analoge Papierweg nicht die einzige Alternative zum Überwachungskapitalismus sein, denn Hosentaschencomputer mit Konnektivität können auch viel ermöglichen.
Deswegen waren vor allem politische Forderungen im Gespräch: wie dass Digitalisierung auf offenen Schnittstellen und offline-tauglichen Datenformaten beruhen sollte, statt auf proprietären Apps, die nur funktionieren, solange sie sich zu einer konkreten Plattform verbinden können.
Ab wann ich mir wieder ein Handy anschaffe?
Lange hatte ich ja ein LineageOS-Smartphone – eine gute Zwischenlösung. Aber gerade habe ich nicht vor, mir ein neues zu besorgen.
Es ist mir wichtig, zu zeigen dass es auch ohne geht. Dass Smartphones nichts gottgegebenes, natürliches sind, und dass man nicht automatisch davon ausgehen kann dass alle eins haben.
Sobald wir das vergessen, sobald wir aufhören von Alternativen zu träumen, haben wir unsere Autonomie völlig an Monopolkonzerne wie Google und Apple abgegeben.
Ich finde den Artikel sehr inspirierend. Vielen Dank! Weiter so!